Kosovo: Westen nimmt neuen Anlauf zur Lösung des Konflikts (2024)

Auf dem Balkan bleibt der Dauerkonflikt zwischen Serbien und Kosovo ein Risiko für die Stabilität. Der Krieg um die Ukraine motiviert den Westen, eine endgültige Lösung zu finden.

Andreas Ernst

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Der Krieg um die Ukraine hat den Balkan wieder auf die Karte der Strategen gesetzt. Dabei interessieren vor allem jene sechs Länder, die wie eine Insel von der EU umgeben sind. In ihrer Stabilität die gefährdetsten sind jene, die weder zur EU noch zur Nato gehören: Serbien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina.

Die Nachkriegsordnung ist dort – auch zwei Jahrzehnte nach den Waffengängen – nicht gefestigt. Die Länder sind deshalb potenzielle Herde für einheimische Revanchisten und Störenfriede aus dem Ausland.

Jetzt nehmen Deutschland und Frankreich einen neuen Anlauf, den Konflikt zwischen Serbien und Kosovo zu lösen. Die ehemalige Provinz hatte sich 2008 nach einem blutigen Krieg zwischen 1998 und 1999 einseitig für unabhängig erklärt.

Für die neue Initiative spricht vor allem, dass sie breit abgestützt ist. Entworfen wurde der Vorschlag in Berlin und Paris. Auch die politische Energie kommt aus diesen Hauptstädten, und neu auch aus Washington. Federführend ist die EU mit ihrem Sonderbeauftragten Miroslav Lajcak. Berlin, Washington und London haben Sondergesandte ernannt, die den Druck auf die Parteien aufrechterhalten sollen.

Teile des Abkommens, über das nun verhandelt wird, sind an die Öffentlichkeit gelangt. Das EU-nahe Portal «Euractiv» behauptet, Einblick erhalten zu haben. Doch wirklich neu ist der Vorschlag nicht. Im Kern geht es darum, dass Serbien die Staatlichkeit Kosovos zwar nicht anerkennt, aber maximal toleriert. Es ist eine Anerkennung de facto, aber nicht de iure.

Vorbild ist der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag

Vorbild ist der «Grundlagenvertrag» von 1972 zwischen der BRD und der DDR, der eine Normalisierung zwischen den beiden deutschen Staaten herbeiführte, ohne dass sie sich diplomatisch anerkannten. Das erlaubte die Einrichtung von «Vertretungen» (nicht Botschaften) im Nachbarland und ebnete ein Jahr später den Weg zur Uno-Mitgliedschaft der beiden deutschen Staaten.

Auch Serbien und Kosovo sollen ihre Beziehungen entsprechend normalisieren. Belgrad müsste dann den Widerstand dagegen aufgeben, dass Kosovo internationalen Organisationen, allen voran der Uno, beitritt. Von deren 193 Mitgliedstaaten anerkennen erst 119 den jungen Staat. Nach erfolgreicher Versöhnung winkte beiden Staaten am Horizont der EU-Beitritt, wobei Abkürzungen kaum toleriert werden. Bevor Serbien beiträte, müsste es Kosovo auch juristisch anerkennen.

Wie gesagt, neu ist der Vorschlag nicht. Was aber neu ist, ist der Wille der Hauptstädte, endlich Bewegung in die Verhandlungen zu bringen und einen Konflikt beizulegen, der die Region seit den 1980er Jahren umtreibt.

Wie aussichtsreich ist der Verhandlungsrahmen? Skepsis ist angebracht. Für Kosovo, das faktisch heute schon unabhängig von Serbien ist, wäre das Abkommen zwar ein Fortschritt mit Blick auf den Beitritt zu internationalen Organisationen. Ob aber der Uno-Beitritt möglich würde, ist ungewiss.

Russland könnte mit seinem Veto, Belgrads Einverständnis hin oder her, die Mitgliedschaft verhindern, um so die «Kosovofrage» offenzulassen. Für Pristina ist allerdings viel wichtiger, wie sich die fünf nicht anerkennenden EU-Staaten verhalten (Spanien, Rumänien, Griechenland, Slowakei, Zypern). Würden sie einlenken?

Noch weniger klar ist, wie Serbien von dem Abkommen profitieren würde. In einer ersten Reaktion behauptete der serbische Präsident Aleksandar Vucic, Belgrad erhielte im Gegenzug zur faktischen Anerkennung einen beschleunigten EU-Beitritt und umfangreiche Wirtschaftshilfe. Das ist nicht glaubwürdig. Trotz der neu entdeckten Geopolitik sind die EU-Mitgliedstaaten nicht erpicht auf den erleichterten Beitritt von neuen Mitgliedern.

Kosovos Umgang mit seinen Serben ist Teil der Lösung

Doch noch bevor sich die Unterhändler an die endgültige Lösung des Disputs machen, müssen sie sich als Manager einer akuten Krise bewähren: Die Kosovo-Serben im Norden des Landes haben sich aus den staatlichen Strukturen zurückgezogen. Gemeindepräsidenten, Parlamentarier, Richter und Polizisten haben den Dienst unter Protest quittiert.

Der spektakuläre Schritt, der mit Belgrad abgesprochen war, ist Ausdruck der Frustration über den Umgang der Regierung in Pristina mit der Minderheit. Die Serben machen zwar bloss etwa 7Prozent der Bevölkerung aus, verfügen aber dank dem angrenzenden Mutterland und verfassungsrechtlich garantiertem Minderheitenschutz über politisches Gewicht.

Kosovos Ministerpräsident Albin Kurti ist seit dem Frühjahr 2020 an der Macht. Er setzt zwar in Bezug auf Korruptionsbekämpfung und Regierungsführung regional neue Massstäbe, beweist aber im Umgang mit der Minderheit keine glückliche Hand.

Er weigert sich standhaft, den 2013 von seinen Vorgängern ausgehandelten Serbischen Gemeindeverband (ZSO) einzuführen. Dieser gibt der Minderheit eine weitreichende Selbstverwaltung in den Bereichen Wirtschaft, Planung, Gesundheit und Bildung. Der ZSO hat, und das ist wichtig, kein Vetorecht auf zentralstaatlicher Ebene. Er kann Regierungsbeschlüsse in Pristina nicht blockieren.

2015 hatten sich die Kosovo-Serben unter massivem Druck aus Belgrad in die staatlichen Institutionen Kosovos eingegliedert. Doch der dafür in Aussicht gestellte ZSO kam nie. Kurti sagt ganz offen, dass er ihn ablehnt und als trojanisches Pferd Belgrads betrachtet.

So vollzieht sich jetzt spiegelbildlich, was in den 1990er Jahren geschehen war, als die von Belgrad unterdrückten Kosovo-Albaner die staatlichen Institutionen verliessen. Nun sind es die Serben, die ihre kosovarischen Polizeiuniformen und Richterroben an den Nagel hängen. Gewiss, Kurtis Sturheit kann nicht mit der brutalen Unterdrückungspolitik von Milosevic verglichen werden. Aber Kurti gefährdet jenes Minimum an Kooperation zwischen dem Staat und der Minderheit, das in den vergangenen zehn Jahren entstanden ist.

Er argumentiert mit Blick auf sein Land so legalistisch und weltfremd, wie es die meisten serbischen Politiker seit dem verlorenen Krieg 1999 tun. Diese reklamieren die Souveränität über einen Landesteil, obwohl dort inzwischen ein neuer Staat entstanden ist. Ähnlich beansprucht Kurti die Herrschaft über den serbisch besiedelten Norden, gesteht sich aber nicht ein, dass sie ohne die Kooperation der Kosovo-Serben nicht zu haben ist. Beiden, Belgrad und Pristina, fehlt der Mut, die Realität so anzuerkennen, wie sie ist.

Was bedeutet das für die westlichen Unterhändler? Es bedeutet, dass sie einen breit angelegten Verhandlungsansatz wählen sollten. Es reicht nicht, das Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo zu regeln. In die Verhandlungen gehört auch die Beziehung zwischen Pristina und den Kosovo-Serben. Sie muss so gestaltet werden, dass die serbische Minderheit weder majorisiert wird noch ein Instrument Belgrads bleibt. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe.

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